Was unter dem Kopftuch steckt

 

Populisten stellen oft die richtigen Fragen, aber geben meist die falschen Antworten. So auch in der als Endlosschleife geführten Debatte über das Kopftuch, stoffgewordenes Symbol des Islam. Richtig ist die Frage, was es für westliche Gesellschaften bedeutet, wenn Religion eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. Falsch aber ist es, Antworten begrenzt auf den Islam zu suchen. Das führt dann zu folgendem Szenario: In Österreich und Europa habe man es zu einer aufgeklärten Kultur mit säkularer staatlicher Ordnung (im Gegensatz zum religiös geprägten Gottesstaat) gebracht. Religion sei Privatsache. Christlich-religiöse Elemente im öffentlich-politischen Raum gelten hierzulande nicht als Ausdruck religiös geprägter Politik, sondern sind Teil des christlich-jüdischen abendländischen Erbes. Das Kopftuch aber passe nicht zu diesem Erbe, verletze das Gebot konfessioneller Toleranz und unterdrücke zudem noch jene, die es tragen. Das ruft nicht nur die Freunde des Multikulti, sondern auch jene auf den Plan, die nach dem Motto, wenn schon Säkularisierung, dann richtig, die Entfernung von christlichen Kreuzen aus den Schulzimmern fordern. So stehen die Kämpfer für das Abendland, ein bisschen säkular, aber im Herzen doch christlich geprägt, gegen die multi-Kulti-Liberalen, für die jeder nach seiner Fasson selig werden kann und die wiederum gegen die Radikalsäkularen, die es mit dem wissenschaftlich aufgeklärten Rationalismus halten und jedweden Bezug auf nicht-beweisbare Glaubensüberzeugungen im öffentlichen Diskurs verurteilen.

Aber keine dieser Positionen wird den Problemen hinter den Kopftuchdebatten gerecht. Mit Aufforderungen an Muslime Bekenntnisse zum vermeintlich universellen westlich säkularen Wertekanon abzulegen tut man so, als ließe sich und sollte man Religion aus dem Bereich der Politik verbannen und ignoriert dabei, dass evangelikale Sekten, nicht nur in den USA Zulauf gewinnen. Man übersieht, dass große christliche Kirchen im Kreuzfeuer der Kritik stehen – nicht von den Atheisten, sondern von Gläubigen, deren religiöse Überzeugungen mit der Amtskirche in Konflikt stehen. Ein Blick über den Tellerrand zeigt zudem, dass in allen Weltregionen teils blutige Kämpfe toben, geführt entlang religiöser Konfliktlinien – Sunniten gegen Schiiten, Hindus gegen Moslems, Protestanten gegen Katholiken in Nord-Irland. Nicht zu vergessen der boomende Markt der esoterischen Surrogate und Popreligionen. 

Moderne säkulare Gesellschaften scheinen post-säkular zu werden. Fällt dabei die Vernunft dem Glauben zum Opfer? Im Angesicht kitschig-chauvinistischer Wiederverzauberung der Welt durch militante Beschwörung von Heimat, Tradition, Glaube, Gott und Abendland scheint es als sei der in Jahrhunderten mühsam eingeübte Universalismus gefährdet. Der ächtet Diskriminierung, sei es wegen Kopfbedeckung oder Herkunft, Religion oder Hautfarbe, fordert Freiheit der Lebensweise auch in der angemessenen Ausübung des Glaubens. 

Religion und Glaube sind weder reine Privatsache noch können sie als richtig oder falsch dekretiert werden. Sie sind auch in modernen, scheinbar säkularen Gesellschaften wichtig, liefern dort Orientierung, wenn Wissenschaft und Technik Entscheidungen erzwingen, für die sie selbst keine Antwort liefern. Durch die moderne Medizin sind Beginn und Ende des Lebens in den Horizont menschlicher Entscheidungen eingerückt. Aber wie soll man sich als Einzelner oder als Gesellschaft entscheiden? Soll man auf Wahrscheinlichkeiten zurückgreifen, Mess- und Zählergebnisse heranziehen? Im Angesicht von Risiken nicht handeln?

Schwierige Situationen, in denen eine unbekannte Welt zu Entscheidungen unterschiedlicher Dramatik nötigt, können durch den Rückgriff auf den Glauben ohne Schaden an der eigenen Identität gemeistert werden. Hier taucht dann die Kopftuchdebatte wieder auf. Der kleiderpolizeiliche Popanz verkennt den Wert von religiös geprägten Traditionen, ignoriert die Bedeutung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auch wenn diese zu Verhüllung führt. Nicht nur die in christlichen Glaubenstraditionen verankerten Einheimischen brauchen Raum und Freiheit um ein aus solchen Traditionen gespeistes ethisches Gefühl zu entwickeln, das als Kompass bei Entscheidungen dienen kann, bei denen der Alltagsverstand überfordert ist. Fremde, aus ihren andersgearteten Lebenszusammenhängen gerissen und ohne Orientierung, sind auf die Pflege solcher, durch Tradition und Religion stabilisierten Orientierungen meist noch mehr angewiesen. 

Österreich als moderne, durch ökonomische Globalisierung, Migration und wissenschaftlich-technischen Fortschritt geprägte Gesellschaft sollte sich der Auseinandersetzung stellen. Statt so zu tun als könne man sich abschotten wäre es an der Zeit auf Augenhöhe und unter Anerkennung der Argumente Andersgläubiger mit diesen gemeinsam an Regeln zu arbeiten, die einem auf gegenseitigem Respekt basierendem Zusammenleben förderlich sind.