Einst waren wir stolz darauf, jetzt brauchen wir es nicht

 

Österreichs international vorbildhafte Vorgehensweise bei häuslicher Gewalt wird einfach eingestampft

Zwei tagesaktuelle Meldungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Lage in Österreich. Die EU-Forschungsminister beraten das neue europäische Forschungsprogramm unter der österreichischen Präsidentschaft in Wien. Viel warme Worte und die übliche Überdosis guten Willens. Gleichzeitig kündigt das Innenministerium die Kooperation mit NGOs im Rahmen der Behandlung von Hochrisikofällen aus dem Bereich der häuslichen Gewalt auf.

Was verbindet die beiden Meldungen? Wir haben vor kurzem ein größeres europäisches Forschungsprojekt, finanziert aus dem laufenden Programm Horizon 2020, zum Thema Umgang mit Hochrisikofällen im Bereich häuslicher Gewalt gefördert bekommen. Das Ziel ist die Entwicklung eines koordinierten europäischen Zugangs zu diesem Problem: Was ist zu tun, wer macht es in Europa am besten, was können die Mitgliedsstaaten voneinander lernen, und welcher Weg ist in Zukunft einzuschlagen?

Als wir dieses Projekt beantragten, waren wir als österreichische Partner im Konsortium in der – eher untypischen – Situation, stolz auf die Verhältnisse hierzulande zu verweisen: Österreich hat im Umgang mit häuslicher Gewalt den Sta- tus eines Best-Practice-Beispiels. Die rechtliche Lage, die Kooperation über die Grenzen von Behörden, Organisationen und Professionen hinweg funktioniert(e) hierzulande. Da sollten sich die anderen gerne ein Beispiel dran nehmen. Finnen und Franzosen, Schotten und Deutschen wollten wir zeigen, wie man's richtig macht.

Wir wollten am lebenden Beispiel demonstrieren, dass Probleme wie häusliche Gewalt gesellschaftliche Probleme sind, die eine gesellschaftliche (multiprofessionelle, behördenübergreifende, die Zivilgesellschaft einbindende) Lösung erfordern. Nicht ohne verschämten Stolz wollten wir vorführen, dass in einem Land, das im europäischen Verbund weniger für soziale, technologische und gesellschaftliche Innovationen steht, sich doch etwas entwickeln kann, das Vorbildcharakter hat. Vorbildcharakter zumindest dann, wenn man die großflächig angepriesene Werteorientierung der Europäischen Union und des europäischen Forschungsprogramms ernst nimmt: Europa solle der Hort inklusiver, innovativer und gerechter Gesellschaftsordnungen werden, Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit – dazu möge auch die europäische Forschung ihr Scherflein beitragen. Nur haben wir offensichtlich unsere wissenschaftliche Rechnung ohne den politischen Wirt gemacht. Mit der hierzulande leider typischen Geste des "Wozu brauch ma des" wurde die vorbildliche Vorgehensweise im Bereich des Umgangs mit häuslicher Gewalt eingestampft. Das Problem wurde an eine der zuständigen interministeriellen Kommissionen verwiesen, die im weiteren Bereich des Strafrechts Reformen im Sinne der neuen Regierung erarbeiten sollen. Die bisherigen Verlautbarungen aus diesen Kommissionen lassen wenig Gutes erwarten, zumindest wenn man den europäischen Wertekanon als Maßstab nimmt.

Aber wir wollen, wiewohl in Österreich, nicht sudern. Wir werden unseren europäischen Partnern die Geschichte erzählen, wie es hier früher mal war, denn die Erinnerung an bessere Zeiten und die Hoffnung auf ihre Wiederkehr sind aktuell wohl das Einzige, was uns bleibt – auch in der Wissenschaft.

Dieser Artikel erschien in Der Standard, am 20.07.2018 als Kommentar der Anderen.