Hindernisse für Opfer von häuslicher Gewalt beim Aufsuchen von Unterstützung
Opfer häuslicher Gewalt bleiben für die staatlichen Unterstützungseinrichtungen weitgehend unsichtbar. Die jüngste EU-weite Umfrage zu geschlechtsspezifischer Gewalt (körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt oder deren Androhung) zeigt, dass nur 13,9 % aller Frauen, die Gewalt erfahren, sich an die Polizei und 20,5 % an Gesundheits- und Sozialdienste wenden. Nationale Umfragen zum Thema häusliche Gewalt zeigen auch einen Unterschied zwischen den Anzeigen und erlebten Gewalterfahrungen. In Österreich wenden sich fast 17 % der Frauen, die Gewalt in der Partnerschaft erleben, an die Polizei, 20 % an medizinische Einrichtungen und 12 % an soziale Dienste – so eine Statistik Austria Umfrage. Selbst wenn Unterstützungsangebote zunehmend beworben werden und auf weitere Bereiche ausgeweitet werden, scheint die Inanspruchnahme von Hilfe hinter den Erwartungen zu bleiben.
Was sind die Ursachen dieser Diskrepanz? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Im Rahmen von IMPROVE haben wir Betroffene nach ihren Geschichten gefragt. Gezielt ging es um ihre Entscheidung Hilfe zu suchen und den Erfahrungen mit dem Unterstützungsangebot. Dieser Blogartikel gibt einen kurzen Einblick in unsere Ergebnisse und konzentriert sich dabei auf die Hindernisse - befürchtet oder erlebt - die Betroffene auf ihrem Weg zur Unterstützung empfanden. Der zugrunde liegende Bericht ist eine thematische Analyse von 108 Interviews in Österreich, Finnland, Frankreich, Deutschland und Spanien. Ziel ist es, zu zeigen, dass die Suche nach Unterstützung keineswegs einfach ist. Vielmehr sind die Wege zur Unterstützung voller Hindernisse, die persönlicher, sozialer und struktureller Natur sind.
Die Hindernisse
Hindernisse sind komplex. Faktoren, die die Inanspruchnahme von Unterstützung erschweren und verhindern, sind oft eng mit den Gründen verbunden, warum Opfer Hilfe suchen. So kann beispielsweise die Anwesenheit von Kindern die Suche nach offizieller Unterstützung erschweren, wenn Betroffene befürchten, dass ihnen ihre Kinder weggenommen werden oder kein Platz in einer Unterkunft zu finden ist. Gleichzeitig können Kinder die Opfer ermutigen, dem Missbrauch zu entkommen. Ebenso sind Hindernisse oft miteinander verbunden. So können Sprachbarrieren ein Grund dafür sein, dass Informationen über Unterstützungsangebote nicht verfügbar sind, und gleichzeitig die Kommunikation mit den Fachkräften erschwert ist. Darüber hinaus werden Hindernisse durch die individuellen Schutzbedürfnisse der Opfer beeinflusst. So bestimmt beispielsweise eine Behinderung, welche Pflege erfordert, den gesamten Verlauf des „Hilfe-Suchens“ - von der Notwendigkeit von Barrierefreiheit und Pflegeangebot bis hin zu möglichen Pflege-Abhängigkeiten.
Folglich treten Probleme, mit denen Opfer konfrontiert sind, selten als einzelne Hürden auf. Vielmehr sehen sie sich einer Vielzahl von Problemen gegenüber, die sich überschneiden und zu verschiedenen Zeiten das Hilfesuchen bestimmen bzw. beeinflussen. Zum besseren Verständnis lassen sich Hindernisse jedoch trennen und auf verschiedenen Ebenen einordnen. In diesem Blogbeitrag werden drei Ebenen unterschieden. Die erste Ebene umfasst persönliche Barrieren, die sich im unmittelbaren Umfeld der Opfer und Überlebenden befinden. Die zweite Ebene umfasst Hindernisse im sozialen Umfeld der Opfer, also soziale Barrieren. Die dritte Ebene schließlich umfasst strukturelle Barrieren. Diese bestehen aus Hindernissen, die bei den formellen Unterstützungsdiensten auftreten.
Persönliche Barrieren für Personen in häuslicher Gewalt
Damit jemand um Hilfe bitten kann, sind zwei Dinge erforderlich: Betroffene müssen den Missbrauch als solchen erkennen und sich mit der eigenen Opferrolle auseinandersetzen. Dieser Prozess wird durch die verschiedenen Möglichkeiten, Missbrauch zu rationalisieren oder zu legitimieren, erschwert.
Gesellschaftliche und gemeinschaftliche Normen in Bezug auf Partnerschaften, Geschlechterrollen und Privatsphäre sowie persönliche Ansichten und Erfahrungen können dazu beitragen, dass Missbrauch „normal“ erscheint. Die Betroffenen interpretieren übermäßige Kontrolle möglicherweise als Zeichen von Zuneigung oder spielen emotionalen Missbrauch als bloße Neckerei herunter. Darüber hinaus können Opfer ihre eigenen Erfahrungen relativieren oder ihre Fähigkeit, mit dem Täter umzugehen, überschätzen.
Verschiedene Formen von Missbrauch werden auch unterschiedlich aufgenommen und verstanden. Nicht alle Formen von Missbrauch werden als Gewalt wahrgenommen. Am häufigsten wird von Opfer nicht-körperlichen Missbrauch als keine häusliche Gewalt begriffen. Selbst wenn sie körperliche Gewalt erfahren, spielen die Betroffenen deren Schwere möglicherweise herunter. Einige Personen erzählten, dass sie die Häufigkeit oder Intensität des Missbrauchs nicht für ausreichend hielten, um ihn zu melden oder als „echte Gewalt“ anzusehen.
Die Opfer spielen ihre Erfahrungen möglicherweise herunter, weil sie glauben, dass diese weniger schwerwiegend oder nicht beachtenswert sind. Besonders Vergleiche mit der medialen Darstellung von häuslicher Gewalt kommen hier zu tragen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Gewalt oft als zufällige Tat von Fremden dargestellt, wodurch der Fokus von (Ex-)Partnern abgelenkt wird. Ebenso kann die Konzentration auf die gewalttätigsten oder tödlichsten Fälle von Missbrauch ein falsches Bild davon vermitteln, wie Missbrauch typischerweise aussieht. Opfer, die nicht dem stereotypen Bild eines Opfers entsprechen, verharmlosen möglicherweise ihre eigenen Erfahrungen. Dies kann Opfer mit höherer Bildung, Berufen im Bereich der häuslichen Gewalt (z.B. SozailarberiterInnen) oder höherem Einkommen betreffen. Sie sehen sich möglicherweise als zu wohlhabend oder informiert an, um Missbrauch zu erleben, oder sie schämen sich dafür, betroffen zu sein. Dabei spielt der Gedanke eine wichtige Rolle, dass sie von häuslicher Gewalt „nicht betroffen sein sollten“.
Selbst wenn Betroffene den Missbrauch und ihr Opfer-sein erkennen, fehlen ihnen möglicherweise Informationen zu Hilfsangeboten oder ihren Rechten. Dies gilt insbesondere für Betroffene aus benachteiligten Gruppen. Beispielsweise sind pflegebedürftige Frauen möglicherweise nicht über bestehende Unterstützungsstrukturen für pflegebedürftige Opfer informiert – sofern solche Strukturen überhaupt vorhanden sind. Ebenso können negative Eindrücke von oder Erfahrungen mit Unterstützungsinstitutionen von einer Meldung abhalten, insbesondere bei Opfern aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Negative Erfahrungen mit Institutionen wie der Grenzpolizei können die Einstellung gegenüber ähnlichen oder damit verbundenen Organisationen beeinflussen. Dazu zählen negative Erfahrungen, die das Opfer oder dessen Umfeld gemacht hat. Das bedeutet, dass negative Einstellungen auch gemeinschaftlich geteilt werden können.
Darüber hinaus sind Risiken für das eigene Wohlergehen ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, sich Hilfe zu suchen. Die Suche kann gefährlich sein. Zu den Risiken können Gefährdungen der eigenen Sicherheit und der Sicherheit von Familienangehörigen oder nahestehenden Personen gehören. Diese Risiken können auch materieller Natur sein, wie der Verlust der Wohnung, der Ersparnisse oder des Arbeitsplatzes. Risiken sollten jedoch weiter gefasst werden und soziale Auswirkungen inkludieren. Diese werden oft durch Stigmatisierung, Scham und Schuldgefühle bedingt oder verschlimmert, die entweder mit dem Missbrauch selbst oder mit dessen Offenlegung verbunden sind. Für manche kann das Reden über die Gewaltbeziehung wie ein Eingeständnis persönlichen Versagens empfunden werden. Des Weiteren können Scham, Schuldgefühle und Traumata die psychische Gesundheit der Opfer negativ beeinflussen und ihre Fähigkeit, Hilfe zu suchen, weiter beeinträchtigen.
All diese persönlichen Hindernisse werden durch persönliche Schwachstellen und Erfahrungen der Marginalisierung beeinflusst. Ebenso können Täter*in sowie Personen aus seinem Umfeld die Hindernisse beeinflussen, mit denen Opfer konfrontiert sind. Persönliche Schwachstellen überschneiden sich mit sozialen und strukturellen Hindernissen.
Soziale Hindernisse bei der Suche nach Hilfe in Fällen häuslicher Gewalt
Soziale Hindernisse bei der Suche nach Hilfe sind in das soziale Umfeld eingebettet, zu dem Freund*innen, Familie, Community-Mitglieder, Kolleg*innen, die Täter*in und die Familie der Täter*in gehören. All diese Personen können den Prozess der Hilfesuche entweder erleichtern oder erschweren. Insbesondere Freund*innen und Familie können als informelles Unterstützungsnetzwerk dienen, was besonders dann wichtig ist, wenn formelle Unterstützungsangebote unzureichend sind. Wenn beispielsweise die polizeiliche Befragung zu belastend wird, kann eine unterstützende Freund*in Halt bieten.
Das Fehlen eines unterstützenden sozialen Umfelds kann die Situation jedoch erschweren. Viele Opfer suchen zunächst Hilfe bei Menschen, denen sie vertrauen, bevor sie sich an formelle Hilfsdienste wenden. Ohne so jemanden wird das Hilfesuchen erheblich erschwert. Wenn das soziale Umfeld das Opfer nicht unterstützt oder, schlimmer noch, den Missbrauch ermöglicht, wird die Suche nach Hilfe noch schwieriger. Beispielsweise können Familie und Freunde das Opfer aus verschiedenen Gründen unter Druck setzen, in der Beziehung zu bleiben. Ein Grund dafür könnte sein, dass das Opfer die Täter*in pflegt und keine Pflegealternativen vorhanden sind. Darüber hinaus können vorherrschende gesellschaftliche Normen die Bedeutung von Beziehungen oder starken familiären Bindungen betonen. Diese Normen können die Entscheidung Gewaltbeziehungen zu verlassen, zusätzlich erschweren.
Auch die Beziehung zwischen Täter*in und Opfer kann Hindernisse mit sich bringen. Missbrauch, insbesondere kontrollierendes Verhalten, kann den Zugang des Opfers zu Hilfsangeboten stark einschränken. Täter*innen isolieren ihre Opfer möglicherweise von Freund*innen und Familie, kontrollieren ihre Bewegungen über Smartphone-Apps oder schränken den Zugang zum Auto oder dem öffentlichen Verkehrsnetz ein. Darüber hinaus können Täter*innen Fehlinformationen und Drohungen einsetzen, um die Haltung des Opfers gegenüber Hilfsangeboten zu beeinflussen. Beispielsweise können sie über die Folgen einer Anzeige lügen oder mit dem Entzug des Sorgerechts drohen. Wenn Täter*innen eine Machtposition innehaben, beispielsweise in der Politik oder bei Hilfsdiensten, können sie Opfer wahrscheinlich leichter belügen und unter Druck setzen. Abhängigkeiten, beispielsweise die Abhängigkeit von der Pflege, finanziellen Unterstützung oder einer Aufenthaltsgenehmigung durch die Täter*in, können die Offenlegung des Missbrauchs ebenfalls erschweren, da Betroffene mit weitreichenden Konsequenzen rechnen müssen.
Schließlich berichten Opfer oft von dem Wunsch, andere, wie ihre Kinder, Familienangehörigen oder Freund*innen, vor den Folgen der Hilfesuche wahren zu wollen. Vor allem Kinder stehen oft im Mittelpunkt ihrer Sorgen. Die Risiken für sie sind vielfältig. Zum einen wird die Einheit der Familie oft als förderlich für Kinder gesehen, während eine Trennung oft als schädlich empfunden wird. Darüber hinaus kann der Prozess der Hilfesuche und das Anzeigen von Missbrauch eigene Risiken mit sich bringen. Betroffene befürchten möglicherweise Vergeltungsmaßnahmen von Seite der Täter*innen oder sorgen sich, dass die Ungewissheit des Unterstützungsprozesses ihre Kinder in Gefahr bringen könnte. Der mögliche Verlust der Wohnung, der finanziellen Sicherheit und des sozialen Ansehens kann nicht nur die betroffene Person selbst, sondern auch für ihre Kinder oder andere Angehörige problematisch werden. Eine weitere Sorge ist die Möglichkeit von den Kindern getrennt zu werden. Die Bereitschaft, andere zu schützen, umfasst in manchen Fällen auch die Täter*innen. Die (Ex-)Partner*in ist möglicherweise immer noch jemand, den das Opfer liebt oder für den es sich verantwortlich fühlt. Das macht die Entscheidung, Hilfe zu suchen, besonders dann schwierig, wenn die Täter*in pflegebedürftig ist oder psychische Probleme hat.
Strukturelle Hindernisse bei der Suche nach Hilfe bei häuslicher Gewalt
Strukturelle Hindernisse sind in der Organisation des Unterstützungssystems zu finden. Ein wesentliches Hindernis ist der allgemeine Mangel an Unterstützung. Diesem kann eine unzureichende Infrastruktur oder zu strenge Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zugrunde liegen. Ein häufiges Beispiel hierfür ist die begrenzte Verfügbarkeit von Unterkünften. Dies kann auf einen Mangel an Wohnraum in einem Gebiet oder Land zurückzuführen sein oder sich aus den Aufnahmebedingungen ergeben. Diese Kriterien können formaler Natur sein. Zum Beispiel wenn Unterkunft nur in einer Region wohnhaften oder gemeldeten Personen gewährt wird, der Konsum bestimmter Substanzen untersagt ist oder Personen aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen werden. So können beispielsweise transsexuelle, nicht-binäre oder männliche Opfer je nach den Bestimmungen der Unterkunft keinen Anspruch auf Schutzräume haben. Es können auch informelle Hindernisse auftreten, wie z. B. unzugängliche Unterkünfte, Personalmangel, Begrenzung der Anzahl der Kinder oder Gebühren, wodurch die Dienste für Opfer unpraktikabel oder unerreichbar werden. Diese Hindernisse beschränken sich nicht nur auf Notunterkünfte, sondern gelten auch für viele andere Unterstützungsdienste.
Darüber hinaus richten sich einige Unterstützungsdienste nur an bestimmte Opfergruppen. Diese werden somit möglicherweise den Bedürfnissen marginalisierter oder schutzbedürftiger Personen nicht gerecht. So können beispielsweise Sprachbarrieren einige Opfer daran hindern Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch geografische Beschränkungen können ein Problem darstellen, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo es nur wenige oder gar keine lokalen Unterkünfte oder Unterstützungsdienste gibt. Das wird nochmal verschlimmert für marginalisierte oder kleinere Opfergruppen, die besonderen Schutzbedürfnisse haben.
Selbst wenn Dienste verfügbar sind, kann die Qualität der Unterstützung zum Problem werden. Hier können mehrere Schwierigkeiten auftreten. Erstens können Unterstützungsdienste ihre Pflichten vernachlässigen, beispielsweise indem sie Beweise nicht sichern, Opfer nicht nach Gewalterfahrungen fragen oder diese durch ihren unsensiblen Umgang retraumatisieren. Zweitens sind die Mitarbeiter*innen möglicherweise nicht dafür geschult, auf die besonderen Bedürfnisse von Überlebenden – insbesondere aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen – einzugehen. Beispielsweise können Hilfesuchende mit negativen Stereotypen konfrontiert werden, die dazu führen können, dass sie z.B. aufgrund ihrer Sexualität oder ethnischen Herkunft benachteiligt oder für ihre Situation verantwortlich gemacht werden. Aufgrund mangelnder Fachkenntnisse sind die Mitarbeiter*innen möglicherweise nicht in der Lage, wichtige Aufgaben wie die Aufnahme von Meldungen oder die Weitervermittlung an geeignete Dienste zu gewährleisten. Drittens leiden manche Einrichtungen unter Personalmangel und begrenzten Ressourcen, was die Qualität der Betreuung zusätzlich verschlechtert.
Auf einer grundlegenderen Ebene sind einige strukturelle Probleme tief in den nationalen Unterstützungssystemen verankert. In einigen Fällen untergraben die rechtlichen Rahmenbedingungen selbst die Bereitstellung von Unterstützung. Wie bereits erwähnt, sind Einschränkungen und Zulassungskriterien aufgrund gesetzlicher Bestimmungen ein häufiges Problem. Diese können über einzelne Dienstleistungen hinausgehen und einigen Opfern, wie beispielsweise undokumentierten Migrant*innen, den Zugang zu Unterstützung verwehren. Gesetzliche Auflagen verlangen in der Regel rechtliche Dokumente, (EU-)Staatsbürgerschaft, Wohnsitz (Die Bestätigung eines Wohnsitz) und Aufenthaltsrecht (Die Bestätigung des Rechts an einem Ort zu leben). Darüber hinaus können Beschränkungen hinsichtlich der Art oder Höhe der verfügbaren Unterstützung diese unerschwinglich werden lassen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn Sozialversicherungsleistungen gekürzt werden, wenn eine Schutzwohnung beansprucht wird. Lücken in der Zuständigkeit können ebenfalls zu Versorgungsprobleme führen, beispielsweise unklare Zuständigkeiten in grenzüberschreitenden Fällen oder im Umgang mit Opfern, die mit mehreren Problemen wie Drogenmissbrauch und häuslicher Gewalt konfrontiert sind. Schließlich kann das Fehlen nationaler Standards, die angemessene Ressourcen und Rechte für Dienstleister*innen gewährleisten, deren Wirksamkeit beeinträchtigen und die Qualität der angebotenen Unterstützung untergraben.
Hindernisse verstehen und den Zugang zu Hilfe bei häuslicher Gewalt verbessern
Angesichts der vielen Hindernisse, denen Opfer bei der Suche nach Unterstützung begegnen können, wird die Diskrepanz zwischen den Fallzahlen und den gemeldeten Fällen verständlicher. Die Flucht aus einer Gewaltbeziehung ist kein einfaches Unterfangen. Was kann dagegen unternommen werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Forschungsprojekts IMPROVE. Die Möglichkeiten hierfür sind vielfältig.
Für Helfende ist es wichtig zu verstehen, dass es schwierig ist, Unterstützung zu suchen. Dies beginnt damit, dass man nicht nur die Viktimisierung akzeptieren muss, sondern auch zugängliche und angemessene Unterstützung identifizieren muss – sofern vorhanden. Das ist nicht immer gegeben. Finanzierungsengpässe, Lücken in den Unterstützungssystemen, langwierige und unklare Prozessabläufe und viele andere Probleme machen die Suche nach Unterstützung zu einem riskanten Unterfangen. Daher müssen Organisationen, die mit Opfern und Überlebenden arbeiten, Verständnis für unterbrochene und wiederholte Hilfsgesuche zeigen. Sie sollten auch Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Dienste den Bedürfnissen und Sorgen ihrer Klient*innen angemessen Rechnung tragen. Darüber hinaus können weitere Schritte unternommen werden.
Im Rahmen des Projekts wurde unter anderem der AinoAid™ Chatbot von We Encourage mit Unterstützung des Konsortiums entwickelt und implementiert. Der Chatbot soll Wissenslücken schließen, indem er Opfern zu Beginn ihrer Suche eine leicht zugängliche, anonyme und kuratierte Informationsdatenbank zur Verfügung stellt. Leser können den Chatbot hier selbst ausprobieren und wertvolles Feedback geben, um ihn weiter zu verbessern.
Da viele Probleme mit der Qualität der Unterstützungsdienste zusammenhängen, könnten Trainingsmaßnahmen dazu beitragen Hindernisse abzubauen. Zu diesem Zweck bietet die kostenlose Schulungsplattform IMPRODOVA-IMPROVE-VIPROM eine Sammlung von mehreren Schulungsmodulen für vier verschiedene Bereiche (Polizei, Justiz, Soziales und Medizin), um Personen, die mit Opfern arbeiten, dabei zu helfen, Gewalt zu erkennen, mit Betroffenen zu kommunizieren und wirksame Hilfe zu leisten.
Wenn Sie mehr über solche Hindernisse erfahren möchten, hat IMPROVE zwei Berichte zu diesem Thema bereits veröffentlich - beide in Englisch. Der erste Bericht fasst die wissenschaftliche Literatur zu Hindernissen unter dem Titel «Factors Leading to Low Reporting of Domestic Violence and Restricting Access to Service» (auf Deutsch: Faktoren, die zu einer geringen Anzeige von häuslicher Gewalt und einem eingeschränkten Zugang zu Hilfsangeboten führen) zusammen. Ein zweiter Bericht beschreibt die Forschungsergebnisse der analysierten Interviewdaten und trägt den Titel «Victims' mental maps of institutional response to DV and needs regarding AI Chatbot» («Der Opferblick auf institutionellen Reaktionen auf häusliche Gewalt und ihre Bedürfnisse in Bezug auf KI-Chatbots»).