Im Schatten der Hochrisikofälle. Zum Verhältnis von Risikoeinschätzungsinstrumenten und den Grenzen der Interventionen bei häuslicher Gewalt

Title: Im Schatten der Hochrisikofälle

Subtitle: Zum Verhältnis von Risikoeinschätzungsinstrumenten und den Grenzen der Interventionen bei häuslicher Gewalt

Authors: Paul Luca Herbinger

Publication: juridikum - zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft,

Published: 2022

Citation:

Herbinger, P.L. (2022) ‘Im Schatten der Hochrisikofälle. Zum Verhältnis von Risikoeinschätzungsinstrumenten und den Grenzen der Interventionen bei häuslicher Gewalt’, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft, (2), pp. 260–269. Available at: https://doi.org/10.33196/juridikum202202014101.

Abstract:

Wenigen Themen gelang es, sich in der medialen Berichterstattung der COVID-Jahre 2020 und 2021 neben epidemiologischen Entwicklungen und Krisenmanagement zu be- haupten. Zu Beginn der Pandemie im globalen Norden fand dennoch – entlang der Be- fürchtung einer drohenden Schattenpandemie (UN Women, 2020) – eine vermehrte The- matisierung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen1 vorübergehend erhebli- ches Gehör. Im Kontext flächendeckender Ausgangssperren und häuslicher Quarantänen gelang es kurzzeitig, ein bekanntes und anhaltendes Problem in neuartigen Zusammen- hängen für die Öffentlichkeit interessant zu machen. Bedauerlicherweise nahm der Ver- lauf dieses Interesses schnell wieder vertraute Bahnen an und die weitere Thematisierung verdichtete sich in Österreich um 31 Tage im Jahr 2020 und 29 Tage 2021 – stets an den Folgetagen eines Femizids.2 Die Verdichtung einer medialen Aufmerksamkeit zu Schlag- zeilen an eben diesen Tagen erklärt sich aus der Logik der Branche selbst: Medienver- treter*innen machen aus einem Problem „eine Ware, ein spektakuläres Schauspiel für tatsächlich Uninteressierte [...] und [tun] damit, was man mit Waren so tut: sie möglichst profitabel verkaufen.“ (Steinert & Pilgram, 1980, 156). Abseits tragischer Fälle, in denen eine Gewaltbeziehung zum Tod einer Frau führt – und damit aus Etwas was meistens als „alltägliches oder privates Problem“ wenig öffentliche Beachtung findet, ein Spekta- kel gemacht werden kann – fällt das Thema anhaltender häuslicher Gewalt meist einer kollektiven Aufmerksamkeitsökonomie zum Opfer. Eine solche Fokussierung auf Femizide und sogenannte Hochrisikofälle beschränkt sich jedoch keineswegs auf mediale Berichterstattung, sondern kann analog dazu in weiten Zü- gen auch in den staatlich organisierten Interventionen in Fällen häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen beobachtet werden.